Das Arbatel (2) – Interpretation der Aphorismen 1-3

Der unbekannte Autor (im Folgenden Anonymus benannt) des Arbatel gibt an, dass es sich dabei um ein Werk handelt, welches in neun Teile á neunundvierzig „Aphorismen“ oder Sprüche unterteilt sei. Diese neun Teile sollten ebenfalls neun Gebiete der Magie abdecken:

  1. Eine Einleitung in die Magie;
  2. Die Magia Microcosmi, die Magie des Menschen;
  3. Die olympische Magie der Geister des Himmels;
  4. Die hesiodische oder homerische Magie;
  5. Die römische oder sybillinische Magie;
  6. Die pythagoreische Magie;
  7. Die Magie des Apollonios;
  8. Die hermetische oder ägyptische Magie;
  9. Die prophetische Magie.

Der darauf folgende Text nennt sich dementsprechend „Der erste Theil des Buches Arbatel, oder Einleitung in die Magie“. Er ist in sieben Siebtel der Aphorismen unterteilt, also insgesamt neunundvierzig Aphorismen. Damit würde das gesamte Werk nur den ersten Teil der angekündigten neun Teile enthalten, wie auch im obigen Lexikonartikel festgestellt wurde. Aber da jedes Siebtel der Aphorismen sich mit einem der in der Einleitung angekündigten Gebiete befasst, scheint es, dass Anonymus schon versucht hat, in den ersten neunundvierzig Aphorismen die wesentlichen Punkte seiner Lehre unterzubringen. Dies entspräche durchaus einer „Einleitung in die Magie“, doch verwundert es in diesem Falle durchaus, dass die Siegel der olympischen Geister schon in der vermeintlichen Einleitung des Werkes vorgestellt werden. Weiterhin endet die „Einleitung“ mit den Worten: „Hier endet das bis auf unsere Zeit überlieferte Buch Arbatel“. Es ist also fraglich, ob Anonymus tatsächlich vorhatte, noch weitere acht Teile zu verfassen, oder ob wir es hier mit dem ganzen Werk zu tun haben, welches dann in eine pompöse Tradition gestellt werden sollte. Dieses halte ich aufgrund der Inkonsistenzen im Aufbau des Buches für wahrscheinlicher.

Das ganze Werk ist in dem Zeit-typischen Stil des 16. Jh. verfasst, in welchem sich der Autor vergleichsweise devot unter die Herrschaft des christlichen Gottes stellt, um anschließend die absonderlichsten magischen Praktiken zu beschreiben. Ebenfalls empfiehlt er dem Leser regelmäßig, sich zuerst der Unterstützung Jesu Christi zu versichern, bevor man sich an die Anwendung der von ihm beschriebenen Techniken mache:

Das erste Siebtel der Aphorismen dreht sich um die inneren Qualitäten des Magiers, der verschwiegen zu sein habe (I.), fromm (II.), zurückgezogen und fleißig (III.), standhaft in der Tugend (IV.), treu in den göttlichen Geboten (V.), lernwillig (VI.) und bereit Gott anzurufen (VII.). Wie man sieht, sind v.a. verschiedene Ausprägungen der Gottesliebe und Frömmigkeit für den Magier entscheidend.

Das zweite Siebtel der Aphorismen geht noch tiefer auf die Notwendigkeit der Verbindung des Magiers zu Gott ein. Die Figuren (Siegel) und Namen der Macht haben demnach ihre Kraft aus der Kraft Gottes (VIII.). Die höchste Weisheit sei entsprechend in Gott und aus Gott heraus, so dass auch die Ordnung der Natur und der Geister von der Weisheit Gottes durchdrungen sei, wobei alles nur zum Nutzen der Menschen erschaffen sei (IX.). Die Meditation bestehe im täglichen Studium der Heiligen Schrift (X.). Grundlage aller Weisheit Gottes sei die Zahl Vier, in der sich seine Allmacht offenbare. Dennoch werde die Erkenntnis der Magie allein von Gott geschenkt, weshalb wir ihn um diese bitten müssen (XI.). Der Magier hat nun die Aufgabe, die ursprünglich von den Engeln den Menschen gelehrten und im Laufe der Zeit „verunreinigten“ Künste wieder zu reinigen, wie Hermes Trismegistos vor uns. Dies erreiche man am besten durch die Kommunikation mit den Engeln (XII.). Die Namen der Dinge, egal ob Mensch, Tier oder Geist geben dem Magier Macht über dieselben, weshalb es sein Bestreben sein sollte, diese Namen zu erfahren (XIII.).[1] Da die Seele unsterblich ist, sei es nötig zu Gott in der rechten Weise zu beten, weshalb Anonymos hier ein entsprechendes Gebet veröffentlicht, das dem Magier auf seinem Weg helfen sollte (XIV.).

Das dritte Siebtel der Aphorismen ist der Teil, in dem es um die sogenannten „Olympischen Geister“, ihre Siegel und Fähigkeiten geht und somit der für diese Arbeit entscheidende.[2] Dieser wird eingeleitet mit:

„XV. Olympische Geister heißen die, welche das Firmament und die Sterne des Firmaments bewohnen und die Geschicke zu bestimmen und auszuteilen haben, soweit es Gott gefällt und er es zulässt; denn es wird Keinem, der unter dem Schutz des höchsten wohnet, weder ein böser Geist oder ein böses Fatum schaden können. Ein jeder aber von den olympischen Geistern lehrt und vollbringt das, was sein Gestirn, dem er zugeordnet ist, anzeigt und bedeutet, wiewohl er ohne Erlaubnis Gottes nichts in Werk setzen kann.“

Die Absicht, die der Verfasser hier ausdrücken möchte, scheint relativ deutlich: Zwar kann man nicht gegen die höchste Gottheit handeln,[3] aber innerhalb dieser Grenzen gibt es keine mächtigeren Wesen als die olympischen Geister. Damit erhebt er den Anspruch, dass man mit Hilfe der von ihm benannten Wesenheiten jegliches Problem, dass einem Schicksal oder Feinde in den Weg legen, lösen kann. Ein nicht geringer Anspruch, wenn auch konform laufend mit den Aussagen anderer, zeitgenössischer Grimoirien. Im Folgenden nennt er die sieben Geister mit den Ihnen zugehörigen Provinzen und Machtbereichen, sowie die Zeit ihres Erscheinens (XVI.). Der nächste Abschnitt (XVII.) spezifiziert die Fähigkeiten und Siegel der einzelnen Geister, worauf ich im nächsten Kapitel genauer eingehen werde. Das Arbatel hebt sich an dieser Stelle von anderen Grimoirien ab, als dass es den „wahren und göttlichen Magier“[4] als, von Geburt an zu diesem Weg bestimmt definiert:

„Aus Mutterleibe wird der Mensch zur Magie geboren, der ein rechter Magier sein soll. Andere aber, die sich selbst in solches Amt dringen wollen, denen geht es unglücklich. Hierher gehört der Spruch Johannes des Täufers: Niemand mag ihm etwas nehmen, es sei ihm denn von oben gegeben.“[5]

Dier geht mit der immer wieder erwähnten Gnade Gottes einher, durch die alles bewegt werde. Ich vermute, dass der Autor sich in protestantischen Kreisen bewegte und das Gebot Luthers, dass nicht das eigene Tun (sprich der Ablass) die Erlösung bewirke, sondern nur die Gnade Gottes (sola gratia: „Allein durch Gnade“, ohne jedes eigene Zutun werde der Mensch von Gott gerechtfertigt). Die von uns als „devot“ wahrgenommene Haltung der Gottheit gegenüber wäre somit als magische „Parallele“ zur damals neuartigen protestantischen Ansicht zu verstehen, dass die Erlösung nicht erkauft werden könne. Ebenso kann magische Macht nicht erlangt werden, indem der Aspirant bestimmte Handlungen durchführt, die ihm dann das Ergebnis garantieren, im Sinne von: „Bete den Rosenkranz 200-mal und Du wirst erlöst sein“ bzw. „Rufe Aratron an, und du wirst Magier sein“. Sondern nur derjenige, dem es gewährt wird – sola gratia – kann Magier sein.[6] Dies nimmt die Magie aus mechanistischen Strukturen heraus und führt sie wieder ins Transzendente. Aber das nur am Rande.[7]

Anonymus warnt jedoch, dass sich die Namen der Geister auch verändern können (etwa alle 140 Jahre), weshalb die Siegel wichtiger seien als die Namen. Man solle in der Kunst vor allem mit den Siegeln arbeiten und dann von den Geistern die aktuelle Form des Namens erfragen (XVIII.).[8] Die Geister sind aber dem Menschen untertänig und müssen ihm dienen (XIX). Da demjenigen der glaubt alles möglich sei, soll der Magier ein frommer Mann sein (XX.). Die Arbeit mit den olympischen Geistern erfordere, dass man nur an solchen Tagen arbeite, die der Natur des Geist entsprechen.[9] Dazu gibt er eine Anrufung und eine Entlassungsformel (XXI.).

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[1] Interessanterweise betont Anonymus immer wieder, so auch hier, wie wichtig es sei, im Beruf fleißig und emsig zu sein, will man etwas erreichen und in allen „nothdürftigen Sachen keinen Mangel haben“ (Sonderdruck, S. 9).

[2] Arbatel XV-XXI (S. 212-221).

[3] Unweigerlich fallen mir dabei Aussagen verschiedener Okkultisten des frühen 20. Jahrhunderts ein, dass man mit der Magie alles erreichen könne, solange es nicht gegen das Karma, die Göttliche Vorsehung, etc. verstoße. Die Parallelen sind bemerkenswert…

[4] Arbatel XVII, 3: „Ein wahrer und göttlicher Magier kann alle Creaturen Gottes, auch des Diensts der Geister (welche die ganze Welt regieren) nach seinem Willen sich bedienen. […] Den mittelmäßigen Magiern senden sie ihre Geister, die ihnen nur in gewissen Dingen gehorsam sind; die falschen und gottlosen Magier aber hören sie nicht, sondern übergeben sie den Teufeln […].“

[5] Arbatel XVII, 5.

[6] Diese Diskussion findet sich auch noch in der moderneren okkulten Literatur. Während z.B. Bardon den „wahren Magier“ eher als eine Form der ethischen Herangehensweise an den Okkultismus und Resultat eines bestimmten Trainings versteht nähert sich Gregorius hingegen in dem Aufsatz „Wege zur magischen Einweihung“ dem Arbatel an: „Niemand darf glauben, wie vielfach angenommen und auch von manchen Schulen gelehrt wird, dass man ein magischer Mensch durch Exerzitien, durch bestimmte Übungen werden kann, d. h. aus eigener Kraft, aus eigenem Willen! – Es ist im Gegenteil eine Angelegenheit der heute kaum noch verstandenen „Gnade“, die im persönlichen Schicksal beschlossen liegt, man glaube es, oder man glaube es nicht.“ (Gregor A. Gregorius, Wege zur magischen Einweihung, in: Gregor A. Gregorius, Magische Einweihung, Bürstadt 2007.) Diese Verschiebung magischer Reife in die göttliche Sphäre unterscheidet sich zwar stark von Gregorius ´ anderen Schriften, weist aber deutliche Parallelen zu den im Arbatel gegebenen Warnungen auf.

[7] Persönlich bin ich der Ansicht, dass das ununterbrochene Streben, das den Magier zu immer neuen Höhen führt und alle Herausforderungen überwinden lässt, ihn zu diesem Geburtsrecht legitimiert. Derjenige, der sich aller Hindernisse zum Trotz von seinem Weg nicht abbringen lässt, wird sein Ziel erreichen, und ist somit von Geburt an zu diesem Weg vorgesehen. Derjenige, der aus Neugierde oder Machtgier sich auf den Weg macht, wird sowieso wieder abfallen und war somit dafür nicht vorgesehen. Sprich, der Erfolg zeigt die „Menschen, die aus dem Mutterleibe zur Magie geboren sind.“

[8] Meiner Erfahrung nach sind diese Änderungen so minimal, dass sie zu vernachlässigen sind.

[9] An dieser Stelle habe ich andere Erfahrungen gemacht, wie man weiter unten sehen wird. Zwar erleichtert der dem Geist analoge Tag die Kontaktaufnahme, doch ist dies keine Voraussetzung für den erfolgreichen Kontakt; entsprechende Vorbereitung des Magiers immer vorausgesetzt.