Einführung in die Alchemie (1) – Theorie

In den letzten Jahrzehnten hat sich durch die nahezu inflationäre Verwendung des Alchemie-Begriffes eine breite Literatur entwickelt, die sich vordergründig mit der Königlichen Kunst zu beschäftigen scheint. Daher macht eine gezielte Abhandlung eine ebenso kurze Abgrenzung nötig, bzw. „Was meine ich mit „Alchemie“?“Häufig wird Alchemie definiert als: „Die Kunst der Transformation!“

Nun ist eine solche Definition nicht einspitzig genug, als dass sie nicht auch für alle Bestrebungen des Menschen nach Veränderungen genutzt werden könnte, was dazu geführt hat, dass der Begriff „Alchemie“ im New Age für eine Vielzahl von philosophischen, psychologischen, spirituellen, meditativen, usw. Techniken und Denkgebäuden verwendet wurde und wird. Ein Grund für diese Diversifikation mag darin zu suchen sein, dass die moderne Wissenschaft es bis heute nicht vermocht hat, die beeindruckenden Ergebnisse spagyrischer Heilmittel in ihrem Paradigma zu erklären. Auf der anderen Seite ist es vielen theoretischen Studenten nicht einsichtig, warum die Arbeit in einem Laboratorium tiefgreifende Veränderungen im Alchemisten auslösen soll.

Alchemie_webDazu trägt die reichhaltige Symbolsprache in alchemistischen Bildern und Texten bei. Dabei ist die Alchemie viel mehr als ein System der Selbstveränderung, wie es z.B. Yoga oder christliche Exerzitien sind. Schon gar nicht ist Alchemie ein Prozess der Individuation, wie ihn Carl Gustav Jung in erstaunenswerter Unkenntnis der Materie beschrieben hat. Wenn ich also in diesem Artikel von „Alchemie“ spreche, dann meine ich Labor-Alchemie, wodurch jedoch nicht ausgeschlossen soll, dass durch die Praxis der Alchemie nicht auch spirituelle und/oder psychologische Effekte im Praktiker hervorgerufen werden können. Im Gegenteil sehe ich dies sogar als unabdingbar für eine echte alchemistische Praxis an. Dazu später mehr.

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Im Folgenden soll also über LABOR-Alchemie gesprochen werden. Zur besseren Abgrenzung von den vielfältigen Auslegungen des Alchemie-Begriffes hat sich als alternative Bezeichnung für Labor-Alchemie die Bezeichnung „Spagyrik“ (von griech.: spao = ich trenne) eingebürgert. Diese wurde von Theophrastus Philippus Aureoleus Bombastus von Hohenheim, auch bekannt als Paracelsus das erste Mal verwendet, um seine Herstellung von Arzneimitteln mittels alchemistischer Methoden von der wilden Suche nach Gold zu differenzieren, die im 16. Jh. so viele Laboranten umtrieb. Paracelsus war für die Alchemie von solcher Bedeutung, dass er noch heute unter vielen ihrer Praktiker geradezu sakrale Verehrung genießt.

Den Ursprung der Alchemie genau zu bestimmen ist aufgrund des nachweisbar hohen Alters dieser Wissenschaft kaum möglich. Mircea Eliade hat gezeigt, dass die Grundlagen der Alchemie sich schon in den schriftlichen und bildlichen Zeugnissen vieler Schmiedeüberlieferungen finden. Als mythologischer Stammvater der Alchemie gilt Hermes Trismegistos, eine synkretistische Gottheit, die aus der Verschmelzung von Thot, Gott der Heilkunst und Schrift mit dem griechischen Götterboten Hermes, Gott der Kommunikation hervorgegangen ist. Nach ihrem Begründer und Patron wird die auch häufig als „hermetische Kunst“ bezeichnet. Ihren ersten (historisch nachweisbaren) Höhepunkt erreichte die Hermetik im Alexandria des 3.-5. Jh. n. Chr. mit Vertretern wie Maria die Jüdin und v.a. Zosimos des Alchemisten. In diese Zeit fällt auch die Entstehung des „Corpus Hermeticum“ als Grundlagenschrift der sich daraus entwickelnden Hermetik. Diese ist in erster Linie eine philosophisch-mystische Lehrart der Selbstvereinigung mit Gott, die nur bedingt auf alchemistische Techniken zurückgreift, aber viele Parallelen mit der Kunst aufweist. Nach der Eroberung Alexandrias durch die Heere der Kalifen kam die Alchemie in den arabischen Kulturraum, in dem sie eine neue Blüte erreichte. Durch die spanischen Städte der Mauren kam sie wieder nach Europa, wo sie spätestens ab dem 15.Jh. wieder in voller Blüte stand. Einen Schwerpunkt in Mystik und Innerer Alchemie bekam sie aber erst im 17. Jh. mit den Rosenkreuzern, die die Laborarbeit nur als Parergon (griech.: “Nebenwerk”) ansahen und die Einheit mit Gott als das eigentliche “Große Werk”. Das 18. Jh. prägte als die Phase der Geschichte, die Wahrnehmung vieler Autoren als Hochphase der Alchemie, mit ihren wandernden Adepten und zahlreichen Vorführungen von Transmutationen sowie einer Vielzahl an alchemistischen Schriften. Das sind jedoch sehr späte Entwicklungen, die schon unter den Zeichen des Niedergangs und des Siegeszug der materiellen Wissenschaften standen. Ende des 18. Jh. ist die Alchemie nur mehr Gegenstand der eher als „obskur“ wahrgenommenen Forscher. Obwohl selbst geniale Wissenschaftler wie Isaac Newton sich hauptsächlich der Alchemie widmeten, geht dieser Schwerpunkt in der öffentlichen Wahrnehmung unter. Erst im 20. Jh. findet eine Renaissance statt: in Frankreich durch Fulcanelli und seinen Schüler Eugéne Canseliet; v.a. aber durch den Deutsch-Amerikaner Frater Albertus, der als Erster alchemistische Laborarbeit in frei verfügbaren Kursen jedem Interessierten lehrte. Er fasste auch viele Lehren zu einem halbwegs konsistenten Lehrgebäude zusammen. Weitere wichtige Vertreter der jüngeren Zeit sind Manfred Junius, John H. Reid III, Peter Hochmeier und Robert Bartlett.

Labor-Alchemie beruht, ähnlich wie die materiellen Wissenschaften, auf einer klaren weltanschauliche Basis, die dem Künstler Maßstäbe liefert, anhand derer er seine Ergebnisse verifizieren kann. In diesem Sinne ist die Alchemie eine ganz und gar empirische Wissenschaft, die ausschließlich die Wahrnehmungen des Alchemisten als Grundlage für ihre Aussagen akzeptiert. Der Ursprung dieses Lehrgebäudes zur Einordnung seiner Wahrnehmungen liefert im weiteren Sinne das Corpus Hermeticum sowie im engeren Sinne die sogenannte „Smaragdtafel des Hermes“. Die darin postulierte Verbindung zwischen der astralen und der materiellen Welt führte zu der Idee, dass die Prozesse, die im Labor durchgeführt werden, analog im Laboranten geschehen – UND UMGEKEHRT (hier liegt z.B. das Problem mit C.G. Jung, der an der Realität der Laborergebnisse gezweifelt hat – ein bedauerlicher und grundlegender Fehler in all seinen Überlegungen!).

Das heißt, dass derjenige, der seine Seele in Gold transformiert hat, im Außen ebenfalls Transformationen durchführen kann, wodurch häufig eine Verbindung zwischen Magie und Alchemie hergestellt wird. Umgekehrt wurde den Künstlern der Transmutation auch eine hohe spirituelle Bedeutung zugemessen. Auch fundierte astrologische Kenntnisse werden benötigt, um es dem Praktiker zu ermöglichen, seine Arbeiten an die Phasen des Universums anzupassen. Dabei gilt aber selbstverständlich „Die Sterne machen geneigt, aber sie zwingen nicht!“

Der Alchemist orientiert sich in seiner Arbeit demzufolge an transzendentalen Prinzipien. So wie sich der Mensch laut hermetischer Prinzipien aus Körper, Seele und Geist zusammensetzt, verfügt in hermetischer Sichtweise jede Kreatur, alle Schöpfung sowohl über Körper, als auch Seele und Geist. In der Fachsprache der Spagyriker sind diese aufgrund ihrer Eigenschaften als Sal, Sulphur und Mercurius bekannt. So äußert sich das Sal-Prinzip eines Dinges zumeist als kristalline Substanz, der Sulphur als feuriges, aggressives, aber auch stark aromatisches Öl, sowie der Merkur als eine stark flüchtige Flüssigkeit, die nur sehr schwer corporal darzustellen ist. Diese sog. „philosophischen Prinzipien“ machen in unterschiedlicher Zusammensetzung die individuelle Erscheinungsform jeglicher Materie aus. Ziel der Spagyrik ist es nun, diese Prinzipien aus der groben Materie zu trennen, einzeln darzustellen und zu reinigen, um sie gereinigt anschließend wieder zusammenzusetzen. Damit sollen Heilmittel hergestellt werden, die die Natur nachahmen, ohne sie zu überwältigen oder gar zu „synthetisieren“. Der Spagyriker folgt den Fußstapfen von Mutter Natur, sieht sich selber als „Erfüllungsgehilfe“ der Natur, nicht als ihr Herrscher: mit sanfter Hand überführt er die Schöpfung durch das Feuer, als der Manifestation göttlicher Schaffenskraft, in ihren vollkommenen Zustand. Daher benutzen auch moderne Hermetiker und Spagyriker wie z.B. Franz Bardon oftmals die Idee der „Vollkommenheit“ für den höchsten erreichbaren Zustand des Menschen. In der Alchemie ist das Sinnbild für diese Vollkommenheit der sogenannte „Stein der Weisen“. Die Fähigkeiten dieses Steins wurden im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausgeschmückt. Ursprünglich stellte er ein extrem potentes Heilmittel zur Bekämpfung aller Krankheiten und zur potentiellen Verjüngung dar. Später kam zur körperlichen Vervollkommnung noch die Vervollkommnung der Metalle durch die Transmutation hinzu. Ursprünglich waren dazu zwei unterschiedliche Substanzen nötig.

Der Möglichkeiten dieser Vervollkommnung sind viele; die meisten Spagyriker und Alchemisten unterscheiden dabei anhand der Naturreiche:

  1. Das Pflanzenreich
  2. Das Tierreich („animalische Reich“)
  3. Das Reich der Mineralien und Metalle

Die spagyrische Arbeit wird je nach Reich komplexer und gewinnt dabei auch an initiatorischer Tiefe. Manche Spagyriker, wie z.B. der Autor Daniel Hornfisher, sehen die Arbeit in den einzelnen Naturreichen als aufeinander folgende Einweihungsstufen an, nicht ohne dabei ist zu bemerken, dass „ein Könner im Pflanzenreich durchaus versierter sein kann, als ein Stümper, der mit Mineralien herumpfuscht.“ (Hornfisher 1998, S. 34)

Zur Praxis das nächste Mal mehr…

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