Ego und Selbst-Erkenntnis

In vielen Foren, auf Facebook und in Gesprächskreisen ist der Umgang mit dem sogenannten „Ego“ immer wieder ein Thema unter spirituellen Suchern. Der folgende Blogpost ist dabei die erweiterte Form eines meiner Postings, die sich mit der Diskussion über das Ego befasste.

 

In den Diskussionen über das Ego werden oft die wildesten Theorien darüber aufgebaut, wie mit dem „Ego“ umgegangen werden sollte – von der Vernichtung hin zur Kristallisation des „Ego“. Vor solchen Diskussionen lohnt sich die Frage danach, was denn nun dieses wilde „Ego“ sein soll. Vom philologischen Standpunkt aus gesehen kommt das Wort „Ego“ aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt in erster Linie einmal „Ich“. Es geht also um das Ich-Bewusstsein. Die öfters gehörte Aussage, dass das Ego ein „konstruiertes Luftschloss“ sei, ist ja erst einmal eine reine These, wenn auch in New Age-Kreisen recht verbreitet. Wie ich anderer Stelle bereits festgestellt habe, befasst sich die Hermetik in ihren frühen Stadien ins besonders mit der Welt der Erscheinungen, und den Möglichkeiten diese zu verstehen und zu nutzen. Jeder von uns wird sich mit dem Thema „Ich“ befassen und für sich die Erkenntnis gewonnen haben „ICH BIN“. Wir nehmen folglich alle ein Ich-Bewusstsein wahr, was unabhängig von Theoretisieren über die Natur des Ich zumindest dessen Vorhandensein bedingt. Dadurch beantwortet sich auch die Frage nach der Natur des ICH – es ist ein Bewusstseinszustand, den jeder Mensch von sich hat. Die Frage scheint mir also nicht darum zu gehen, ob das ICH existiert, sondern nur wie der Suchende damit umzugehen hat. Das „Ego“, also ein Ich-Bewusstsein ist also grundsätzlich. Die hermetische Theorie geht in Folge davon aus, dass dieses Ego oder Ich-Bewusstsein dabei verschiedene Stufen und Daseinsformen aufweist. Dabei geht es oftmals um eine Bewertung der Formen des ICH oder des Geistes. Welche Schichten des Egos sind denn „gut“ und wert, an ihnen festzuhalten? Welche sind „schlecht“ und abzustreifen? Wann ist man „ICH SELBST“?

 

Mir erscheint die ganze Ego-Diskussion mit ihren Bewertungen und Forderungen in erster Linie voller Worthülsen von „Form“ und Annahmen über (von niemandem bisher wahrgenommenen) Ego-losen Meistern zu sein. Dabei herrschen Missverständnisse über die östlichen Philosophien vor, welche meistens über schlechte Übersetzungen und synkretistische Vermengungen von östlicher und westlicher Philosophie im Zuge der Theosophie vorgenommen wurden. Meines Erachtens nach ist ein Meister einfach einer, der den Weg selber gegangen ist, der Menschen auf dem Weg der Vollkommenheit führen kann – und trotzdem in dieser Welt lebt, in dieser Gesellschaft existiert. Er ist Magier und Mensch mit Job, Freunden und Hobbies. Dennoch hat er sich ganz der Selbst-Vervollkommnung verschrieben, wodurch sein Horizont weiter reicht als „Mein Haus, mein Auto, meine Frau“. Selbst wenn ein Meister den Abyssus überqueren konnte, und das Ego, das Bewußtsein des ICH in der Allgegenwart der Gottheit, des ALL hinter sich ließ… – will er in dieser materiellen Welt, in Malkuth, dem Königreich, der Welt der Erscheinungen weiter leben, so braucht er das Ego zur Unterscheidung zwischen ICH und DU, zum Manövrieren in einer Welt, die sich durch Trennung definiert. Der Erleuchtete muss also wieder nach Tiphareth oder sogar ins absolute Normalbewusstsein zurück kehren. Auch ein Adept isst, trinkt, ärgert sich mal und hat (hin und wieder) seine Ego-Probleme. Das bringt diese Welt mit sich. Wie ein chinesischer Meister einmal sagte:

 

„Vor der Erleuchtung: Holzhacken und Wasserholen.

Nach der Erleuchtung: Holzhacken und Wasserholen“

 

Für Dich, der Du nach Selbstvervollkommnung strebst ist aber doch nur wichtig, dass ein solcher Meister Dich auf Deinem Weg weiter führen kann! Und das findet sich nicht an jeder Ecke…

 

Und um eines klar zu machen: ein guter Meister erschafft keine Meister-Schüler, sondern andere Meister! Denn schlussendlich ist man IMMER sein eigener Meister.

 

Natürlich brauchen wir das Ego! Alles was uns mitgegeben wurde hat seinen Sinn – jede Eigenschaft, jeder Gedanke, jede Stärke und jede Schwäche hat ihren Sinn. Es kommt darauf an, ob wir bereit sind zu erkennen, welchen Sinn sie haben.

Das Ego benötigen wir alleine schon, um in dieser Welt zu navigieren. Dennoch hat die Idee(!) der Ego-Auflösung natürlich ebenfalls seinen Sinn: eben nicht „verhaftet“ zu sein, an dem, was vergänglich ist, was man glaubt zu sein; nicht verhaftet zu sein, an den Befriedigungen des Egos („Haus, Auto, Frau“); nicht verhaftet zu sein, an den Dingen der Materie – sondern einzutauchen in die tiefen Schichten der eigenen Seele und des Geistes. Denn dort ist eben nicht der kleine Mensch zu Hause, der nur nach einem warmen Platz zum sch******, nach Nahrung und nach Fortpflanzung sucht – sondern die allgegenwärtige und ewige GOTTHEIT! Der rein trieb- und körpergesteuerte Blick auf die Befriedigung der unmittelbaren Bedürfnisse hält uns Menschen oftmals davon ab, die tiefere Natur unseres Seins zu erkennen. Um sich davon zu lösen, da erst beginnt Egolosigkeit als Ziel Sinn zu ergeben…

 

Bei der Selbsterkenntnis geht es daher m.E. weniger darum, ein vermeintlich hinderliches Ego „aufzulösen“ oder „abzustreifen“ (oder was es sonst so an wilden Begriffen gibt), sondern vielmehr darum, sein ICH mit all seinen Facetten für sich zu erkennen, in seinen tieferen Schichten zu durchdringen und für seine magische Entwicklung zu nutzen!

Es gilt sich zu lösen, weg zu kommen von irgendwelchen konstruierten Dogmen über „Egolosigkeit“, hin zu wahrer Selbsterkenntnis: nur DU kannst Deine Persönlichkeit durchdringen, sich ihres Nutzens bewußt werden, sie formen und in eine höhere, reinere Form entwickeln. So, dass DU Herr über Deine Eigenschaften wirst und sie alle für Deinen Nutzen verwenden kannst.

Schlussendlich wird das ICH kristallisiert, und gereinigt vom Schmutz und auf-oktroyierter Fremd-Bedürfnisse (zu denen m.E. eben auch die Egolosigkeit zählt…). Denn derjenige, welcher wirklich einmal Egolosigkeit erlebt hat, der weiß, dass dieser Zustand nicht ins Wachbewusstsein mitgenommen werden kann. Er bleibt in der Ewigkeit!